Schalmei - das unbekannte Wesen
,,Ich bin ein Schalmeien-Fan. Ich mag ihren schrägen Ton.
Diesen quäkenden Ton, der immer ein bisschen falsch klingt.
Er klingt so hemdsärmelig. So direkt. Im Rhythmus wie eine riesige Drehorgel.
Und er klingt auf angenehme Weise laut. Eine Kraft geht von ihm aus.
Und wenn dann die ganze Kapelle ertönt, 15 oder 20 Frauen und Männer in die Tröte blasen, dann habe ich immer das schöne Gefühl, es startet ein alter Doppeldecker.
Die Schalmei ist ein Instrument für draußen.
Sie braucht viel freien Raum. Immer schon so gewesen.
Von Anfang an. Seit jener Max Bernhard Martin seine Trompete oder sein Horn erfunden hat und es einfach Martin-Trompete oder Martin-Horn nannte.
Damals, 1905 im thüringischen Markneukirchen.
Der Kaiser war scharf auf das Ding.
Wilhelm II war unter anderem auch ein Automobil-Narr.
Die neuesten Modelle kutschierte er stets als erster.
Und damit das Volk zur Seite springt, wenn er angebraust kommt, brauchte er die modernste Hupe, die nur er allein drücken durfte: nämlich das Martin - Automobil - Cornet mit seinem schönen großen Gummiball. Dreiklang - Cornet. Vierklang - Cornet. Tremolon - Horn.
Fanfaren-Trompete. 4-tönige, 8-tönige Fanfaren - eben Martins ,,Kaiser-Fanfaren-Trompete". Mit dem Motiv: ,,Du lieber Schwan": tatü - tata. Aus Wagners ,,Lohengrin". oder der ,,Siegfried-Ruf" aus Wagners ,,Siegfried". oder aus Verdis ,,Aida" das Motiv des Triumphzugs.
Dann kam 1918, und aus war's mit dem Kaiser und seinem Signalmonopol.
Das Martin-Horn wurde demokratisiert. Nun durften es alle verwenden: die Feuerwehr, die Polizei, der Krankenwagen, der Gleisarbeiter bei der Eisenbahn, die Sprengmeister als Warnton vor einer Sprengung.
Auf weite Strecken hin musste etwas signalisiert werden.
Wie gesagt: die Schalmeien brauchen viel freien Raum.
Und dann ab Mitte der 20er Jahre der Wandel von der Signalhupe zum Musikinstrument: Die Schalmei als Ruf, als Aufruf, als politisches Signal bei den Demonstrationen der KPD. Auf der Straße.
Viel freier Raum: "Denn dieses kräftige Signal sollten alle hören!"
Paul Kohl
Unsere Schalmei hat mit dem Instrument der Hirten in der Antike und im Mittelalter wenig gemeinsam.
Bei der Martin-Trompete entsteht der Ton durch eine aufschlagende Metallzunge, die ähnlich wie bei der Mundharmonika durch einfaches anblasen jeweils einen einzelnen Ton ergibt. Die Bündelung von 4,8 oder 16 Metallzungen mit jeweils einem tonverstärkenden Trichter und einer geeigneten Ventilmechanik ergibt die Martin - Trompete.
Die Melodie-Instrumente Sopran, Alt und Bariton spielen jeweils die 8 Töne einer diatonischen Tonleiter, der Alt eine Terz tiefer und der Bariton eine Oktave tiefer als der Sopran.
Der Bass hat nur 4 Töne und die Akkordbegleitung bis zu 4 Akkorde zur Auswahl.
Diese eingeschränkte Tonauswahl führt zu dem typischen Schalmeien - Klang, bei dem manche Lieder durch notwendige Oktavsprünge und fehlende Halbtöne etwas fremd klingen können.
Auch die später entwickelten 16-tönigen chromatischen Melodieinstrumente können daran wenig ändern.
Bei der Hirtenschalmei wurde der Ton von einem Doppelrohrblatt ähnlich der heutigen Oboe erzeugt und konnte durch Grifflöcher im Trichter verändert werden.
Dieser näselnde, quäkende Klang wurde dann in einem Register von Kirchenorgeln nachgebildet und blieb so unserer Zeit erhalten.
Die Ähnlichkeit des Klanges wird wohl die Ursache für die Namensübertragung auf die Martin-Trompete gewesen sein, vielleicht war es aber auch nur in schönfärberischer Absicht.